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Als sogenanntes Kind der Liebe in einem kleinen Städtchen geboren, erzählte ich, wurde (seite 6) ich von meiner Großmutter in ärmlichen Verhältnissen, doch leidlich gut erzogen, kam im Alter von sechs Iahren in die Volksschule und mit zehn Iahren in die Lateinschule in einem größeren Institute.
Zum ersten Male auf Ferien heimkommend, fand ich meine arme Großmutter, die mir sie bestattet hatten, verbrachte ich die Ferienwochen bei meiner Mutter, die bei einer wohlhabenden Familie in Diensten stand, und dann ging es wieder fort ins Institut.
Die Kosten für das Studium bestritt eine Wohltäterin.
Nach dreien halbjähriger Anwesenheit im Institute mußte ich, da meine Wohltäterin starb, das Studium ausgeben und erlernte nach den Regeln meines Heimatlandes in dreijähriger Lehrzeit ein Gewerbe.
Er selbst nahm auch etwas zu sich, worauf wir den Raum verließen, um uns wieder nach oben zu begeben.
Als Gehilfe war ich in verschiedenen Städten tätig, bis mich meine Militärpflicht wieder heimwärts führte.
Ich wurde Soldat, bald auch Unteroffizier und war während meiner Dienstzeit einen blutigen Krieg mitzumachen gezwungen, aus dem ich unverletzt heimkehrte.
Nach dem Abgange vom Militär war ich in verschiedenen Berufen und brachte mich und die Frau, die ich dann geheiratet hatte, recht und schlecht fort, wie es eben kam.
Wenn auch ohne Ueberfluß lebten wir in glücklicher Ehe durch volle 32 Iahre, dann entriß sie mir der Tod.
Ietzt bin ich wieder einsam, bin alt geworden und fand keine Arbeit — — —
Nun erwiderte die Frau: Ich weiß, wie es in dem Lande, aus dem Du kommst, aussieht, welche harte, unerträgliche Zustände dort herrschen da ich es in meinen jüngeren Iahren schon mehrmals bereiste.
Doch da Du nun hier bist und jedenfalls zu bleiben gedenkst, so will ich, falls es Dir recht ist, Dir hier eine treue Freundin und Begleiterin durchs Leben sein.
Ich sagte mit Freuden zu, da ich, wie jeder natürliche Mensch, das Alleinsein verabscheue, und somit war unser Bund geschlossen.
Es kam die Zeit zur Abendmahlzeit.
Die Glocke im Turme des Gebäudes ertönte in drei Schlägen, im Gange vor der Türe wurde es wieder lebhaft, meine Freundin stand auf und hieß mich mitkommen.
Wir gingen eine breite Treppe mit Marmorstufen hinunter und kamen in einen ziemlich großen Saal, wie meine Begleiterin sagte, einer der vier Speisesäle des Gebäudes, dieser hauptsächlich für ältere Leute.
Sie wies mir einen Platz an und setzte sich neben mir nieder.
Im Saale befanden sich vier Reihe einfach aber rein gedeckter Tafeln, vor diesen bequem zusammenlegbare Bänke, die in kurzer Zeit besetzt waren.
Eine zarte Musik wurde hörbar, während durch junge Männer und Frauen die Speisen gereicht wurden.
Die Platten waren von stark vergoldetem Silber, desgleichen die Eßbestecke, die Teller von feinem Porzellan.
Die Mahlzeit war einfach und reichlich, doch nichts im Uebermaße,  denn schon feit ihrer Tugend, erklärte meine Freundin, seien die Leute hier schon er Gesundheit wegen an einfache Kost gewöhnt.
In verhältnismäßig kurzer Zeit war das Abendmahl beendet und die Leute begaben sich, meist paarweise oder in Gruppen, ins Freie, um einen (seite 7) Spaziergang zu machen.

Angerbauer, Joseph. Tischlein, Deck Dich Für Alle! Eine Betrachtung. West Norwood: Selbstverlag, 1908.